26. August 336: Makao-City, 15.45 Uhr
Chris stand am Fenster und starrte auf die Straße hinab. Sein Haar war noch feucht von der Dusche. Dennoch fühlte er sich beschmutzt. Besudelt durch die Holografiebilder, die er sich hatte ansehen müssen.
Sein Freundeskreis beschränkte sich auf weniger als eine Handvoll Menschen und so wusste er, dass etwas passiert sein musste, als Dave plötzlich vor der Tür stand. Wie erwartet, brachte ihm sein Freund keine guten Nachrichten. Aber das Ausmaß dieser schlechten Nachrichten war beinahe mehr, als Chris ertragen konnte. Während er die Nacht mit Larissa verbrachte, war sein Bruder getötet worden.
Chris hatte geglaubt zu wissen, wie der Verlust ihn treffen würde. Doch er hatte sich geirrt. Nichts konnte er dem Schmerz entgegensetzen, der jetzt in ihm tobte.
Seit dem Tod seiner Eltern gab es nicht mehr viele Konstanten in seinem Leben. Eine davon war Larn. Sie waren durch weit stärkere Bande verbunden, als durch bloße Blutsverwandtschaft.
Verbunden gewesen, korrigierte er sich.
Bereits früh im Leben hatte er lernen müssen, dass Tränen nicht halfen. Doch im Moment wünschte er sich einfach weinen zu können. Vielleicht würde das die eisige Kälte vertreiben, die sein Denken lähmte und die ihn zu ersticken versuchte.
Er ballte die Hände zu Fäusten. Versuchte, seine Trauer durch Wut zu ersetzen. Es gelang ihm nicht.
Gequält schloss er die Augen und ließ die Stirn gegen die Fensterscheibe sinken.
Die zweite Holografie hatte nicht mehr gezeigt, als einen brutal zugerichteten Torso. Die längst verheilten Brandnarben, die sich über den breiten Rücken und die Schulter erstreckten, waren deutlich zu sehen. Chris hatte sie sofort erkannt.
Die Medikhüllen an den Arm- und Beinstümpfen seines Bruders hatten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. War es Zufall, dass Larns Peiniger sie dort gelassen hatten? Oder wollten sie damit verdeutlichen, dass sie Larn nach der Amputation seiner Glieder noch am Leben erhalten hatten? Was war es, was ihn letztendlich tötete? Der Schock oder die Enthauptung? Wie viel Schmerz vertrug der menschliche Geist, bevor er kapitulierte?
Immer wieder blitzte das Bild seines Bruders vor seinem inneren Auge auf. Fast schien es Chris, als wäre er mit Larn dort gewesen …
Er sah, wie Larn sich verzweifelt gegen die Krieger wehrte, hörte seine Schreie, als sie ihn auf den Tisch schnallten und ihn quälten, blickte in seine panisch aufgerissenen Augen, die trübe waren vor Schmerz. Hatten sie ihm seine Augen gelassen?
Nein, Stopp, rief er sich selbst zur Ordnung. Hör auf damit. Denk nicht darüber nach. Denk gar nicht daran!
Er wollte nicht wissen, wie lange das Sterben seines Bruders gedauert hatte, oder wie qualvoll es gewesen sein mochte. Aber die Bilder fielen mit ungebrochener Macht immer wieder über ihn her.
Er wirbelte herum und hieb mit seiner Faust gegen die Wand. Der gewollte Schmerz brachte ihn wieder zur Besinnung. Schwer atmend stand er da, am ganzen Körper zitternd vor Anspannung, aber zumindest wieder in der Lage klarer zu denken.
»Hat es geholfen?«, fragte Dave. In den Augen seines Freundes stand die gleiche Trauer, die auch in Chris tobte.
»Nicht wirklich.«
»Ich weiß, es ist hart. Aber wir
müssen los. Hast du alles, was du brauchst?«
Bei Daves Worten hätte Chris fast bitter aufgelacht. Alles, was er brauchte? Er hätte Larn gebraucht. Oder zumindest die Freiheit, seine eigenen Entscheidungen treffen zu können.
Da das jedoch unmöglich war, schwieg er und nickte. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Er sah sein Zimmer in dieser Bruchbude von einem Haus. Kalt und zugig, mit undichten Fensteröffnungen und fleckigen Wänden. Dennoch, der Raum war für beinahe ein Jahr sein Zuhause gewesen. Seine Zuflucht. Es fiel ihm schwer das hinter sich zu lassen. Absurderweise hatte er das Gefühl, das Geschehene realer zu machen, wenn er das Zimmer verließ. Doch er hatte keine andere Wahl. Er musste stark sein, um des Andenkens seines Bruders willen. Und er musste sich zusammenreißen wegen des Vertrauens, das Larn in ihn gesetzt hatte.
29. August 336: Clanbasis Hiereon, 19.19 Uhr
Es war lange her, seit Larissa sich zuletzt so ausgeglichen gefühlt hatte. Sie war glücklich und ihr Spiegelbild bestätigte es. Ihre Augen glänzten, die Wangen waren leicht gerötet, da war so ein kleines Lächeln auf ihren Lippen, das einfach nicht schwinden wollte.
Vor drei Tagen hatte sich Christopher von ihr verabschiedet. Zweiundsiebzig Stunden, in denen sie kein Wort von ihm hörte und die sich endlos hinzogen. Dennoch konnte nichts ihre gute Laune trüben.
Larissa verdrehte die Augen und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Sie benahm sich beinahe wie eine Vierzehnjährige, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Verabredung hatte, nur weil sie Christopher heute Abend wiedersehen würde.
In den letzten Tagen gab es keine Minute, in der sie nicht an ihn gedacht hatte. An sein unglaubliches Lächeln, das ihre Knie augenblicklich in Pudding verwandelte, an den Ausdruck in seinen Augen, der ihr Geborgenheit und Zärtlichkeit versprach, an seine Berührungen, zugleich sanft und voller Kraft.
Als sie mit ihm in Cindys Apartment gegangen war, ging sie davon aus, dass es auf Sex hinauslaufen würde. Auch er konnte nicht verbergen, dass er dem nicht abgeneigt war. Dennoch kam es nicht dazu.
Stattdessen hatte er sie ernst angesehen und gesagt, dass er nicht mit ihr gekommen war, weil die Gelegenheit gerade passte. Sondern weil er ihre Anspannung und ihr Bedürfnis nach Gesellschaft bemerkt hatte.
»Solange es in meiner Macht steht, werde ich immer da sein, sobald du mich brauchst«, hatte er ihr versichert.
So verbrachten sie die Nacht damit, zu reden. Zumindest die meiste Zeit.
Larissa stieß unwillkürlich den Atem aus. Ihr Unterleib zog sich zusammen, als sie daran dachte, was dieser Mann mit seinen Lippen anstellen konnte, mit seinem Mund, mit seinen Händen …
Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben.
Noch eineinhalb Stunden bevor sie aufbrechen konnte. Wäre es ungehörig, vorzeitig zu erscheinen?
Völlig egal, entschied sie gerade, als ein Summen einen Gast ankündigte.
Der automatisch aufklappende Bildschirm ihres Coms zeigte ihr, dass Lance vor der Tür wartete.
»Komm rein«, rief Larissa gut gelaunt. »Glaubst du, der Wagen ist schon abfahrbereit? Ich möchte gern zeitiger losfahren.«
»Komm her und setz dich, Mädel.«
Larissa stockte mitten in der Bewegung. Lance nannte sie nur Mädel, wenn es Probleme gab. Ein Überbleibsel aus ihrer Teenagerzeit, wo sie mehr Probleme verursacht hatte, als gut für sie war. Im Allgemeinen hatte Lance hinterher die Wogen wieder glätten müssen.
Ihre gute Laune verflog von einem Moment zum anderen, während sie ins Wohnzimmer ging. »Was ist los?«
»Setz dich«, wiederholte Lance.
Breitbeinig stand er da. Die massigen Arme vor der Brust verschränkt, die Lippen schmal. Seine gesamte Haltung verriet, dass ihr das Gespräch nicht gefallen würde. Um sich unnötige Debatten zu ersparen, setzte sie sich in einen der Sessel.
»Also?«
»Was ist vor drei Tagen in Cindys Wohnung geschehen?«
Nichts in dem Blick seiner kühlen grauen Augen ließ einen Rückschluss darauf zu, was er dachte. Dennoch bildete sich in ihrem Magen ein harter, schmerzender Kloß.
»Was ist passiert?«
»Beantworte die Frage, Larissa.«
»Christopher und ich haben geredet. Uns …«
»Worüber? Hat er dir Fragen gestellt?«
»Natürlich hat er das. Aber …«
»Was für Fragen?«
»Ganz normale Dinge.« Larissa fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Meine Eltern, seine Eltern, Freunde …«
»Was wollte er über deinen Vater wissen?«
»Herrgott, Lance!«
»Was genau, Larissa?«
»Nichts Ungewöhnliches.« Sie stand auf, ignorierte seinen missbilligen Blick und begann unruhig hin und her zu laufen. »Was für ein Mensch er ist. Wie wir zueinander stehen. Ob ich glücklich bin.«
Lances Augen verengten sich. Er sah sie an. Nachdenklich, abschätzend und viel zu lang.
»Besser, du erfährst es von mir«, brummte er dann. »Christopher Bishop ist verschwunden.«
»Was?«, stieß sie ungläubig hervor.
»Seine Wohnung steht leer. Seit zwei Tagen wurde er nirgends mehr gesehen.«
»Er kann nicht weg sein.« Sie schluckte und versuchte den Kloß hinunterzuwürgen, der auf einmal in ihrer Kehle steckte. »Er sagte, er würde da sein, wann immer ich ihn brauche.«
»Entschuldige, Prinzessin – aber das hier ist kein Schlagertext.«
Lance klang resigniert. So würde er sich nicht anhören, hätte ihr einfach nur irgendein Kerl das Herz herausgerissen, um darauf herum zu trampeln. In diesem Fall wäre er stinksauer.
Niemand tat ›seinem Mädel‹ ungestraft weh. Das hatte er oft genug gesagt und auch bewiesen.
»Was noch?«
»Er wurde zuletzt in den Quan-Bergen gesehen. Innerhalb der Sperrzone.«
Larissa atmete scharf ein. Die Quan-Berge? Die Sperrzone? Das war nicht gut …
Des Öfteren wurden Menschen aus den Gebieten rund um die Berge als vermisst gemeldet und tauchten nur selten wieder auf.
Das gesamte Gebiet war von breiten Adern aus Dalith durchzogen, einem Mineral, dessen Strahlung Ortung und Navigation so nachhaltig störte, dass es immer wieder zu Verlusten an Mensch und Material gekommen war. So hatte der Großherrscher das Gebirge zum Sperrgebiet erklärt.
Abwehrend schüttelte Larissa den Kopf. »Chris in der Sperrzone? Das ist unmöglich. Nicht mal die Suchtrupps des Großherrschers trauen sich …«
»Es gibt einen Augenzeugen.«
»Nein, du verstehst nicht. Christopher kann nicht im Inneren der Sperrzone gesehen worden sein. Das Betreten ist bei Todesstrafe untersagt. Wäre er dort entdeckt worden, hätte ihn niemand verraten können, ohne sich selbst zu belasten.«
»Möglich wäre es schon. Du weißt ja nicht, wer der Augenzeuge ist. Wenn der für die Regierung arbeitet …«
»Du glaubst auch nicht, dass Chris dort war?«
»Er wurde in der Nähe der verbotenen Zone gesehen, so viel steht fest.«
»Das ist noch nicht alles, oder?«
Lance seufzte und schüttelte erneut den Kopf. »Er wird ebenso mit dem Verschwinden einiger Menschen in Verbindung gebracht. Eine Einheit des SUT sucht nach ihm.«
»Die Spezialeinheit zum Schutz Terras?«, Larissa erstarrte, als ihr die Bedeutung dieser Worte aufging. »Sie verdächtigen Christopher des Mordes?«
»Bisher ist nur von Entführung die Rede«, wiegelte Lance ab. »Anscheinend verschwanden mehrere Personen, nachdem er zuletzt mit ihnen gesehen wurde.«
»Du hast Christopher doch überprüft.«
»Natürlich. Als er das erste Mal in deiner Nähe auftauchte, hab ich ihn durchs Raster laufen lassen.« Er schnaubte. »Als dein Interesse an ihm offensichtlich wurde, checkte ich ihn noch einmal gründlich.«
»Und?«
»Glaubst du, ich hätte dich mit ihm in die Wohnung gehen lassen, wenn ich auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten gestoßen wäre?«
»Er hat das nicht getan.«
»Es gibt Augenzeugen, die …«
Sie hob die Hand, um jedes weitere Wort zu verhindern. »Er hat es nicht getan. Unmöglich.«
»Nichts ist unmöglich. Angenommen, er hat Beziehungen. Verbindungen, die bis ganz nach oben reichen. Das könnte eine gefälschte Vita erklären.«
»Mit solchen Kontakten tarnt sich niemand als mittelloser Student. Warum sollte er das tun? Um an mich heranzukommen? An meinen Vater? Lord Hiereon? Bei solchen Beziehungen hätte er das einfacher haben können.«
»Mehrere Personen bestätigen unabhängig voneinander, dass sie einen Entführungsversuch mit ansahen. Kurz darauf verschwand Christopher.«
»Wer?« Er schüttelte den Kopf. »Wer, Lance?«
»Die SUT wird mit dir reden wollen. Noch gelingt es deinem Vater, sie von dir fernzuhalten. Ich wollte dich nur darauf vorbereiten«, wich er aus.
Larissa hörte ihm kaum noch zu. Im Geiste ging sie die Liste der Personen durch, die häufiger mit Christopher und ihr zusammen gewesen waren. Sie erstarrte, als ihr die Wahrheit bewusst wurde.
Kapitel 2
»Dieser verdammte Mistkerl!« Larissa katapultierte sich förmlich aus dem Sessel heraus und war an der Tür, bevor Lance auch nur reagieren konnte.
Fluchend stürzte er ihr nach. »Larissa, warte. Mädel, bleib stehen.«
»Ich bring ihn um! Ich bring ihn ganz einfach um!«
»Pass bitte auf, was du da sagst. Du musst dich beruhigen, bevor dich jemand so sieht.«
»Einen Dreck muss ich!«
»Oberschicht, ja? Du erinnerst dich? Beherrschung? Disziplin? Etikette?«
»Da sch…«
»Sag es nicht. Nimm nicht solche Worte in den Mund.«
»…eiß ich drauf.«
»Ich wusste, es war keine gute Idee deines Vaters, mich zu deinem Leibwächter zu machen.« Lance stöhnte. »Du hast dir in den letzten zehn Jahren einfach zu viel von mir abgeguckt.«
»Was denn? Dass man sich nichts gefallen lässt?«
»Ich bin ein Clankrieger, verdammt! Von mir wird erwartet, dass ich mir nichts bieten lasse. Von dir hingegen erwartet man Benehmen und Beherrschung!«
Larissa verdrehte nur die Augen. Die Erwartungen der anderen konnten ihr gestohlen bleiben. Benehmen? Gari war es doch, der sich idiotisch benahm.
Mittlerweile waren sie in dem Teil des Gebäudes angekommen, in dem Garis Räume lagen. Zielsicher steuerte Larissa auf die Tür zu, hinter der sich Garis Wohnbereich befand. Während ihrer Kindheit, als sie sich noch mit Gari verstand, hatte sie viel Zeit hier verbracht. Doch dann starb Leon, der Sohn Lord Hiereons, und Gari wurde zum Nachfolger des Clanführers ernannt. Von da an veränderte er sich.
Seine Überheblichkeit wuchs ins Unermessliche, sein Machtgehabe ging Larissa zusehends auf die Nerven. Seine neue Rücksichtslosigkeit erschreckte sie. So kühlte das Verhältnis zwischen ihnen deutlich ab, bis es schließlich gänzlich zerrüttet war.
Ihr Zögern nutzte Lance, um sich vor die Tür zu stellen und ihr den Weg zu versperren.
»Du wirst dort nicht Reinstürmen«, sagte er und verschränkte die Arme, so wie er es immer tat, wenn er entschlossen war, sie an etwas zu hindern. »Nicht, bevor du dich beruhigt hast. Am besten gehst du einfach wieder zurück in dein Zimmer.«
»Geh mir aus dem Weg, Lance.« Larissa versuchte, all ihre Wut in den Blick zu legen, den sie ihm zuwarf. »Das ist ein Befehl.«
»Das meinst du nicht ernst.« Kopfschüttelnd sah er auf sie herab. »Du kannst dort jetzt nicht reingehen«, wiederholte er dann, jedes Wort betonend, »und dir und damit auch mir Probleme bereiten.«
Sie ballte die Fäuste. Er hatte sie schachmatt gesetzt und er wusste es.
Larissa schloss die Augen, atmete tief durch, während sie sich bemühte ruhiger zu werden. Es gelang ihr beinahe, bis sich die Tür hinter Lance öffnete.
»Larissa, die Überwachung meldete dein Kommen. Wie schön, dass du meiner kleinen Party beiwohnen willst.«
»Du!«, schrie sie Gari über Lances Schulter hinweg an. »Du miese, kleine, niederträchtige …«
»Es freut mich ebenfalls, dich zu sehen«, unterbrach Gari sie mit süffisantem Lächeln. »Doch achte bitte auf deine Worte. Das Dilemma, in dem du dich befindest, solltest du nicht durch deine Taktlosigkeit steigern.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ließ sie auf dem Gang stehen, als wäre sie ein ausgemustertes Möbelstück.
Larissa schob Lance zur Seite, sein warnendes Kopfschütteln ebenso ignorierend wie seinen beschwörenden Blick.
Aufgebracht stürmte sie hinter Gari in den Raum. Hinter sich hörte sie Lance leise fluchen, als er erkannte, dass Gari nicht allein war. Mehrere seiner Freunde waren bei ihm, die Larissa ebenso wenig beachtete wie die drei halb bekleideten Damen im Hintergrund.
»Was hast du getan?«, verlangte sie von Gari zu wissen. »Mit welchen schmierigen, miesen Tricks versuchst du dich in den Vordergrund zu drängen?«
»Mir ist vollkommen unklar, wovon du sprichst.«
»Du hast diese haarsträubenden Verdächtigungen über Christopher in die Welt gesetzt.«
»Ach das«, Gari zuckte mit den Schultern. »Dieser ganze Aufstand wegen eines Versagers, der dich bereits durch seine bloße Anwesenheit diskreditiert?«
»Du wirst diese Aussage zurücknehmen.«
»Das wäre unangebracht.« Gari versuchte gar nicht zu verbergen, wie sehr er die Situation genoss.
»Gari, bitte!« Larissa kämpfte um Beherrschung.
»Du bittest mich um etwas? Es war mir bislang nicht bewusst, dass dieses Wort überhaupt zu deinem Vokabular gehört. Könnte ich es noch mal hören? Offensichtlich bist du ja bereit, für diesen Abschaum zu betteln.«
Larissa spürte, wie Lance sich hinter ihr anspannte. Er kannte ihr Temperament zu gut, um locker zu bleiben.
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Der Wunsch, sie in Garis Gesicht zu schlagen, um sein widerliches Grienen dadurch fortzuwischen, war beinahe übermächtig. Aber sie beherrschte sich. Lances spürbare Anspannung half ihr dabei.
»Wärst du so freundlich, die falschen Verdächtigungen über Christopher zurückzunehmen? Bitte! Reicht das? Oder soll ich vor dir auch noch auf die Knie fallen?«
»Eine verlockende Vorstellung. Doch vorläufig werde ich davon absehen, dein freundliches Angebot anzunehmen.« Gari zögerte, dann sagte er: »Die SUT sieht die Gesetzesübertretungen Bishops als erwiesen an. Was meine falschen …«, er machte mit den Händen Anführungszeichen in die Luft, »… Anschuldigungen betrifft: Sie entsprechen der Wahrheit. Zumindest solange, bis ich etwas anderes sage. Du solltest aufwachen, Larissa. Jemand wie er passt nicht zu unseresgleichen.«
»Du steckst also tatsächlich dahinter?« Obwohl sie es bis an die Grenze der Gewissheit geahnt hatte, erschütterte sie sein offenes Eingeständnis.
»Wenn ich etwas will, nehme ich es mir. Sollte sich mir dabei jemand in den Weg stellen, wird er die Konsequenzen dafür zu spüren bekommen.«
»Christopher ist unschuldig. Das werde ich beweisen.«
»Wirst du das?« Gari lächelte herablassend. »Dein Wort gegen meines stellen? Was denkst du, wessen Einfluss größer ist?«
»Dein Einfluss«, sie spie das Wort förmlich aus, »berechtigt dich nicht falsche Anschuldigungen in die Welt zu setzten.«
»Nicht? Nun gut, wenn dir so viel daran liegt … Wie weit würdest du gehen, um diesen Abschaum zu retten?« Provozierend fasste er sich in den Schritt und schob die Hüften vor. »Jetzt möchte ich dich zu gern auf Knien vor mir sehen.«
Garis Freunde im Hintergrund johlten. Bis Larissa ausholte und ihm ins Gesicht schlug. Totenstille folgte, nur unterbrochen von dem Fluch, den Lance ausstieß.
»So«, stieß sie, unbeeindruckt von den entsetzten Blicken um sie herum, hervor. »Jetzt weißt du, was ich von dir, deinem Einfluss und deinen Besitzansprüchen halte.«
Gari hielt sich die Wange und starrte sie fassungslos an. Langsam machte er einen Schritt auf Larissa zu.
Blitzschnell baute sich Lance vor ihr auf.
»Geh auf dein Zimmer«, sagte er über die Schulter hinweg zu Larissa. »Sofort.«
»Das bereust du. Ich schwöre, dass du das bereuen wirst«, keuchte Gari.
»Vielleicht, aber das war es mir wert.«
Gari versuchte Lance zur Seite zu schieben. Ebenso gut hätte er probieren können, eine Felswand mit bloßen Händen zu bewegen.
Larissa wusste, Lance würde Gari nicht die Gelegenheit geben auf sie loszugehen. Dazu hatte er zu oft gesehen, wozu der Neffe des Clanführers während eines Wutanfalles fähig war.
»Lass mich vorbei!«, knurrte Gari wütend.
»Das kann ich nicht tun«, Lance klang völlig ruhig.
»Das ist Befehlsverweigerung.«
»Mir ist nicht bewusst, dass es sich um einen Befehl handelt«, entgegnete Lance stoisch. »Meines Erachtens verlor ein Mitglied der Oberschicht die Beherrschung. Deswegen wird sie sich jetzt in ihre Räume zurückziehen. Dort kann sie über ihren Fehler nachdenken und sich eine Möglichkeit zur Wiedergutmachung überlegen. Ohne dass es zu einem weiteren Eklat kommt.«
Eine eindeutige Aufforderung an Larissa endlich zu gehen. Sie bekam gerade noch mit, wie Gari sich nach seinen Freunden umblickte.
Atemloses Schweigen schlug ihm entgegen. Man hätte die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können.
»Was ist?«, schnappte er. »Wo bleibt die Musik?«
Augenblicklich dröhnte der Bass los. Aber da war Larissa schon um die nächste Biegung des Ganges verschwunden.